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Just get up and dance.

Über den Traum vom Fliegen und das klassische Ballett

Veröffentlicht am 19.08.2016

Der Traum der Menschheit ist das Fliegen. Nicht nur in griechischen Sagen, auch in außereuropäischen Mythologien ist das Fliegen das Privileg der Götter. Bekannt ist die Sage von Ikarus, der mit seinen Wachsflügeln der Sonne zu nah kam und zur Strafe für diese Anmaßung ins Meer abstürzte. Götterboten wie Hermes und Engel werden mit Flügeln dargestellt.  Wenn aber ein einfacher Mensch fliegen kann, dann muss er mit dem Teufel im Bunde sein, wie die Hexe auf ihrem Besenstiel .

Das hat die Menschheit nicht davon abgehalten, über Jahrhunderte hinweg Fluggeräte zu entwerfen. Ende des 18. Jahrhunderts waren Wissenschaft und Technik so fortgeschritten, dass Modell-Hubschrauber und Heißluftballons möglich wurden. Die erste Passagierfahrt gelang 1783, eine Montgolfière startete mit einem Hammel, einem Hahn und einer Ente. Die zwölfminütige Fahrt bewies, dass Luftreisen für Lebewesen möglich sind, so dass kurz darauf auch Menschen es wagten, sich von der Erdoberfläche zu lösen.

Der Testflug fand in Paris im Beisein von König Ludwig XVI und Königin Marie-Antoinette statt. Obwohl weit entfernt vom Glanz des Sonnenkönigs Ludwig XIV einhundert Jahre zuvor und nur kurz vor der Französischen Revolution, die die "gottgegebene" Ordnung und die Vorherrschaft des Adels zertrümmerte, war Paris zu dieser Zeit eines der wichtigsten politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Zentren Europas. Auch die Geschichte des Klassischen Balletts ist ohne diese Metropole undenkbar. Bereits im 16. Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt der Tanzentwicklung von Italien nach Frankreich. Man kann es auch an der Sprache erkennen: die Bezeichnung 'Ballett' stammt vom italienischen 'ballare', die Fachausdrücke des Klassischen Balletts sind aber bis heute französisch. Mit heutigem Ballett hatten die damaligen Tänze aber wenig zu tun, meist wurden prunkvolle Kostüme gravitätisch zur Schau gestellt und die Darsteller in allegorischen Bildern arrangiert.

Einen besonderen Stellenwert hatten Tanzaufführungen unter Ludwig XIV: als Mittelpunkt des Versailler Universums übernahm er auch bei seinen 'Ballets' die Hauptrolle und nutzte sie zur Demonstration von Macht und Reichtum sowie als subtiles Herrschaftsinstrument. Bei Hoffesten waren die Adligen sowohl Mitwirkende als auch Zuschauer, das Tanzen zählte wie Reiten und Fechten zu den höfischen Tugenden. Die Teilnahme an einer Aufführung galt als höchster Gunstbeweis des Königs. Ludwig XIV selbst hatte seit früher Kindheit täglichen Tanzunterricht und war ein begeisterter Tänzer, besonders liebte er das Menuett. Seinen Beinamen 'Roi Soleil' - der Sonnenkönig - verdankt er einem Auftritt als 15jähriger. Eine filmische Rekonstruktion sieht man hier.

Professionelle, nicht-adelige Tänzer waren somit hauptsächlich als Lehrer und Arrangeure gefragt, weniger als Darsteller. Ende des 17. Jahrhunderts veränderte sich dies: der Bühnentanz löste sich vom königlichen Hofstaat und versuchte, als neue, eigenständige Kunstform dramatische Inhalte ausschließlich mit tänzerischen Mitteln zu erzählen. Statt Versailles wurde die Pariser Oper das Zentrum der Tanzkunst. 1661 gründete Ludwig XIV die königliche Tanzakademie - übrigens noch vor den Akademien für Wissenschaften oder für Musik. 1681 wurde Frauen erlaubt, öffentlich zu tanzen. 1713 wurde die Tanzschule der Pariser Oper gegründet, die Oper selbst erhielt als staatliche Einrichtung eine feste Ballett-Kompagnie von 20 Tänzern.

Marie Taglioni als La SylphideMarie Taglioni als La SylphideTanzlehrer wie z.B. Jean Georges Noverre (1727-1810),  Ballettmeister an der Pariser Oper, verfassten theoretische Schrifften zur Tanzkunst und verfeinerten Technik und Trainingsmethoden. Der Pomp der barocken Kostüme entfiel zugunsten leichter Bekleidung, die den Tänzern Bewegungsfreiheit gab. Auswahl nach körperlicher Eignung und tägliches Training ermöglichten eine nach heutigen Maßstäben professionelle Tanztechnik. 1832 tanzte Marie Taglioni auf Spitzenschuhen die Titelrolle in 'La Sylphide'. Spitzenschuhe erfordern ein Maß an Kraft und Balance, das sich nur durch jahrelanges intensives Training erreichen lässt. Und sie erfordern große Disziplin gegenüber sich selbst und die Bereitschaft, Schmerzen der Kunst zuliebe in Kauf zu nehmen.

Quelle: ballettphoto MagdeburgQuelle: ballettphoto MagdeburgSpitzenschuhe und scheinbare Schwerelosigkeit wurden zum Inbegriff des Klassischen Tanzes und der Primaballerina. Nicht zufällig handelt 'La Sylphide' als eines der ersten großen Handlungsballette von einer Waldfee, auf dem Bild oben sind ihre Flügel im Kostüm angedeutet. Im 19. Jahrhundert war die féerie-ballet ein eigenständiges Genre, in dem moderne Theatertechnik mit ausgeklügelten Hebevorrichtungen und Seilzügen für 'zauberhafte' Effekte sorgte. Die griechisch-römische Mythologie galt als unzeitgemäß, modern waren dagegen romantische Märchenwelten. Bekannte Ballette wie 'Schwanensee' oder 'Dornröschen' von Tschaikowsky und Petipa gehören in diese Kategorie.

Zurück zum «Traum vom Fliegen»:  im Ballett geht es darum, durch perfektionierte Technik die Beschränkungen des menschlichen Körpers zu überwinden, den dreidimensionalen Raum in Sprüngen und Drehungen zu beherrschen und sich einem zeitlosen Ideal der Schönheit anzunähern. Beim Pas de Deux stellt der männliche Tänzer seine Kraft der Partnerin zur Verfügung, um diese in Hebungen und unterstützten Sprüngen schwerelos erscheinen zu lassen. Der Preis der Perfektion ist aber eine gewisse Sterilität, ein Verschwinden des weiblichen Körpers hinter der angestrebten Form.

Stilistisch gehört das Ballett in die Zeit der Romantik und zu deren Ideal einer absoluten Liebe und der unerfüllbaren Sehnsucht danach. Die zugrundeliegende Körpertechnik lässt sich dagegen der Epoche des Rationalismus zuordnen, in der es galt, den Körper mit militärischer Strenge zu disziplinieren und Tätigkeiten wie Reiten, Fechten oder das Tanzen zu systematisieren und zu normieren.

Kurz: Klassisches Ballett ist schön, aber unerotisch. Manchmal macht es daher mehr Spaß, nicht zu fliegen, sondern beim Tanzen auf dem Boden und bei seinem eigenen Körper zu bleiben.

(Text: Ines Ende)

Bildnachweis: Marie Taglioni as The Sylfid. By Alex. Lacauchie (Nils Personne: Svenska Teatern VIII (1927)) [Public domain], via Wikimedia Commons

Hebung: magdeburg.ballettfoto.de, eigene Bearbeitung

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